Interview

09.2007

MOON FAR AWAY: Von Gottern und Engeln.
"GOTHIC" Magazine (Germany), autumn 2007

„Ich glaube, der Hörer braucht außer der Musik selbst wirklich keine Informationen über den Komponisten oder Musiker, um seine Intention zu begreifen", erklärt Ash, die männliche Hälfte des Duos MOON FAR AWAY, einer der wenigen russischen Gothicacts, die auch im Westen haben Fuß fassen können. „Unsere Masken sind ein Zeichen für die Gesichtslosigkeit des echten Künstlers. Hohe Kunst ist erst durch göttliches Wirken möglich, nicht durch menschliche Gefühle oder Ambitionen. Der Künstler ebnet nur den Weg von einer Welt in eine andere. Wenn wir im Studio arbeiten oder auf der Bühne stehen, sind wir nicht dieselben Menschen wie im „alltäglichen" Leben. Wir wollen, daß Gott und seine Engel durch uns sprechen…"

Der Bezug zu den Engeln kommt bei MFA nicht von ungefähr, nicht, wenn man in Archangelsk lebt, was soviel wie Erzengelstadt heißt. Ein Name, der auf die Gründung des Erzengel-Michael-Klosters durch Nowgoroder Mönche im 12. Jahrhundert, zurückgeht. Und eine Stadt am Mündungsdelta der Dwina in unmittelbarer Nähe zum Weißen Meer. Es liegt nahe, daß dieser ungewöhnliche Ort mit dazu beigetragen hat, die ebenfalls ungewöhnliche Musik des Projekts zu formen, wie Ash bestätigt: „Es ist ein besonderer Ort, voller einzigartiger Schönheit und Kraft, erfüllt von zutiefst russischer Identität. Das Klima hier ist sehr naß und regnerisch, und wir haben im Winter eine Menge Schnee. Manche Leute glauben ja, daß hier in der Gegend Hyperborea gelegen haben soll, die Heimat der ersten Menschen… nun, auch die frühesten Seiten im „Mahabharatha", dem ältesten Buch der Welt sagen, daß himmlische Feuer den Ort erhellten, an dem die ersten Menschen lebten, und das werden wohl die Nordlichter gewesen sein… In unserer Region liegen auch die Soulovetsk-Inseln, das sind sehr mystische Stätten mit mittelalterlichen, christlich-orthodoxen Klöstern und uralten Steinlabyrinthen, von denen niemand weiß, wer sie errichtet hat."

Ja, so stellt man sich die Orte vor, an denen Musik wie die von MFA geboren wird. Weite Räume, ein sakraler Ethnosound, dann plötzlich wieder poppig verspielt. Viele Stücke faszinieren durch die vertrackte Rhythmik chromatischer Perkussion. Manchmal hat man den Eindruck, es mit einem russischen Pendant zu DEAD CAN DANCE zu tun zu haben. Tatsächlich schöpfen auch MFA ihr Liedgut aus alten Quellen, wie Ash meint: „Ich denke, die Tradition ist ein Weg, unsere Welt lebendig zu halten, aber dafür ist es nicht nötig, in die Wälder zurückzukehren oder den technischen Fortschritt zu ignorieren. Die Hauptidee unseres „Belovodie"-Albums war es, den Klang oder die Arrangements alter nordrussischer Lieder wiederzugeben, allerdings in absolut freier Bearbeitung. Wir haben weder die Texte noch die Art, in der sie gesungen werden, verändert, aber wir haben unter Beachtung der ästhetischen Gesetze einige Harmonien hinzugefügt. So wurden die Stücke am Leben gehalten und lediglich von einer Sprache in eine andere übersetzt."

Auf uns mag ein so ausgeprägter Hang zur Tradition konservativ wirken, aber MFA betonen, daß die Band keine politische Ausrichtung hat: „Nein, wir sind völlig unpolitisch. Allerdings sind MFA ein echtes Kind der großartigen und alten russischen Kultur, die wir in unserer Musik und unseren Texten fortsetzen möchten. In gewisser Hinsicht sind wir also eine ‚patriotische' Band."

Dabei greifen die russischen Künstler neben elektronischen Instrumenten auch gerne auf verschiedene Flöten, Perkussion und traditionelle russische Instrumente wie das Gusli und die Balalaika zurück. Allerdings verwehren sich MFA, wie von Ash ausdrücklich gesagt, auch dem technischen Fortschritt nicht und haben über das Medium Internet alle räumlichen Barrieren überwunden.

„Das Internet ist immer wieder für Überraschungen gut", meint der Musiker. „Manchmal finde ich neue Freunde und tief empfindende Menschen in Gegenden, von denen ich dachte, daß es da nicht einmal Elektrizität gäbe. Unsere My Space-Seite wird sehr stark frequentiert, und es ist klasse, daß wir so unsere Fans in der ganzen Welt kennenlernen können. Wir haben inzwischen Anhänger in den USA und Europa. Ich glaube, unsere Musik gibt den Menschen dort etwas, Ideen und eine Atmosphäre, die sie nicht oft in ihrer eigenen Gesellschaft wiederfinden. Auch unser Label Prikosnovenie in Frankreich leistet bei der Verbreitung unserer Musik sehr gute Arbeit."

Und die Zukunft? Ash beschreibt den bisherigen Werdegang seines Projektes folgendermaßen: „Von unserer Kindheit zur Kraft und künstlerischen Freiheit. Vom Heidentum zum Christentum. Vom Chaos zur Harmonie. Und vom Egoismus zur Liebe. Der Weg ist lang…"

Derzeit arbeiten MFA an der "Novy Hymn Rossii"-Single, die, wie ihr Titel bereits verrät, eine neue russische Nationalhymne, verschiedene Coverversionen dieses Stückes von befreundeten Bands und einige Videos enthält. Sie wird in Rußland auf SHADOWPLAY RELEASE veröffentlicht."

Wer mehr über MOON FAR AWAY wissen oder einfach mal in die Songs reinhören möchte, wird im Internet rasch fündig. Auf www.myspace.com/mfaofficial, www.moonfaraway.ru und www.gothic.ru/mfa finden sich alle gewünschten Informationen. Schön wäre es natürlich auch, wenn die Band eines Tages den Weg nach Deutschland fände. Aus Archangelsk, der Stadt der Erzengel am Weißen Meer.


Jörg Kleudgen

 
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